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HATTLER - "MALLBERRY MOON"

Das erste Mal erlebte ich Helmut Hattler 1974 - da schrieb er seinen Vornamen noch mit einem 'L´. Es war die Zeit der großen Studentenfeten, ich war frisch aus einem Eifel-Dorf in der damals noch Insel-Hauptstadt Berlin gestrandet - und fühlte mich auf dieser Party in dem altehrwürdigen Gebäude der Technischen Universität am Ernst-Reuter-Platz zum ersten Mal heimisch in dieser Stadt: Auf der Bühne standen damals KRAAN und spielten ihre merkwürdige Mischung aus Rock und Jazz mit Ethno-Elementen und langen Improvisationen, die sich schon seit einigen Monaten auf meinem heimischen Phillips-Bandgerät unablässig gedreht hatte. Die Luft war Cannabis geschwängert, im Publikum überwogen grüne Parkas und lange Haare, und die Stimmung war gut.
Das letzte Mal erlebte ich Hellmut (nun mit zwei 'LL´) Hattler in der Lagerhalle, einem feinen Club in Osnabrück. Keine Spur von Cannabis in der Luft, kein Parka und kaum lange Haare zu sehen - doch der Mann auf der Bühne, nun Dreh- und Angelpunkt der Formation HATTLER, spielt immer noch seinen eigentümlichen, federnden Bass-Stil in einem wiederum individuellen, mit Worten nur unzulänglich zu beschreibenden Band-Sound. Und die Stimmung war gut!

Zwischen diesen beiden Ereignissen liegen etwa 28 Jahre, und Hunderte von selbst gespielten und besuchten großen und kleinen Konzerten, sowohl auf meiner, als auch auf Hattlers Seite. "Hat er sich denn überhaupt verändert?", höre ich mich fragen. "Nein, er hat sich nicht verändert, aber entwickelt. Er ist sich selbst treu geblieben," antwortet mir die gleiche Stimme, die die Frage gestellt hatte.
Hellmut Hattlers Musik war immer, egal ob mit Kraan, TabTwo oder eben HATTLER bewegend für den Körper, den Geist und die Seele, denn sie ist originell, intensiv, meist irgendwie melancholisch - und doch fast immer tanzbar. Sie passt immer noch in keine gängige Schublade, bedient sich stets freizügig aus vielen Regalen und entwickelt eine geschmackvoll sortierte und hochwertig eingespielte Melange aus Soul, Funk, Jazz und Dance-Floor. Ist dies "Avantgarde Pop"? Oder "Hip Jazz Pop"? Wie wäre es mit "Jop"? Schade, dass "Soul" schon belegt ist! Wer will, möge seine eigene Kategorie kreieren - und ich bin mir sicher, dass er nach dem nächsten HATTLER-Stück diese Kategorie wieder ad acta legen wird. (So wie ich mich nicht traue zu sagen, dass HATTLERs Musik mich -wahrscheinlich als einzigen auf diesem Globus - ausgerechnet an Steely Dan erinnert....)

Dennoch - genau so wird es sein, wenn sich die neue "Mallberry Moon" im digitalen Abtastgerät zu drehen beginnt, unser analytisch getrimmtes Gehirn sich einschaltet und vorgeben will, dass wir erst einordnen sollen, was Bauch und Herz längst zu spüren begonnen haben. Aber wir arbeiten ständig an der richtigen Reihenfolge, und "Mallberry Moon", HATTLERs zweites Album, hilft uns dabei. Man sagt, dass das zweite Album einer Band immer das schwierigste ist, besonders, wenn das erste so erfolgreich war wie "No Eats Yes". Doch Hellmut Hattler bleibt - getreu seiner Devise - immer schön locker. Denn mit und nach "No Eats Yes" ist soviel Neues passiert, dass auch "Mallberry Moon" die gleiche Spannung aufbaut wie der Premieren-Silberling. Nicht nur hat "No Eats Yes" den begehrten Echo-Preis für die beste Jazz-Produktion einheimsen können, sondern HATTLER, damals eigentlich als reines Projekt angedacht, um dem damals TabTwo-losen Bassisten neuen Spielraum zu ermöglichen, ist zu einer richtigen Band gereift. Erfolg schweißt also auch zusammen, und HATTLER scheint nun bereit, selbst Geschichte zu schreiben - und zu wollen! So wie auch Kraan und TabTwo in der deutschen Musiklandschaft ihre eigenen unvergesslichen Spuren hinterlassen haben. War "No Eats Yes" die Einleitung, ist "Mallberry Moon" nun das erste Kapitel des neuen Buches, das wir lesen dürfen und das "Immer schön locker bleiben" heißen könnte - wenn das nicht ein allzu banaler Titel wäre. Dieses neue Album birgt die gleiche Ambivalenz und die daraus resultierende Spannung, die Hellmut Hattlers Musik schon immer auszeichnete. Man bekommt, was man erwartet - und wird gleichzeitig überrascht von musikalischen Facetten, die man so eben nicht erwartet hatte! Die exzellente Band mit den beiden Sängerinnen Sandie Wollasch und Nkechi Mbakwe, die so unterschiedlich klingen wie sich ihre Namen schreiben, bilden zusammen mit Hellmut HATTLER, der wie gewohnt alle Titel selbst schrieb und mit Hilfe einiger alter Freunde (u.a. die Ex-Kraan-Musiker Jan Fride und Ingo Bischof, aber auch Gitarrist extraordinaire Torsten De Winkel) und kreativer Studio- und Programming-Experten (Uwe Jahnke, Tonio Neuhaus und vor allem Christian Lohr) nun ein Album vorlegt, das in der Tat wie eine verführerische, reife Frucht innerhalb des täglichen CD-Allerleis erscheint. Süß, exotisch, geheimnisvoll - und gleichermaßen bekannt und vertraut.
"Mallberry Moon" schmeckt einfach gut; ich finde es in diesem Moment sehr schade, dass CDs nicht riechen, denn diese würde sehr gut riechen! Und: "Mallberry Moon" öffnet den Blick nach vorne. Reminiszenzen an vergangene Tage, Projekte, Personen, Musiken sind nicht mehr notwendig, wenn es Musiker wie Hellmut Hattler, Bands wie HATTLER und Alben wie dieses "Mallberry Moon" gibt. "Mallberry Moon" ist positiv und macht mich gut gelaunt! Da kann man in der Tat "immer schön locker bleiben"!

Heinz Rebellius (Musiker, Musik-Journalist, Buch-Autor, Klang-Therapeut)

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